An viele Rennen kann ich mich, auch heute nach 30 Jahren noch sehr, sehr gut erinnern. Das für mich letzte Rennen im Zuge des YAMAHA-XS-400-Cups im September 1979 in Hockenheim ist so ein Rennen. So als wäre es erst gestern gewesen. Als Gesamtsieger stand ich schon fest. Den Gesamtsieg hatte ich schon sicher. Die Trainingsbestzeit hatte ich zu meiner Überraschung auch gefahren. Das Rennen ging über insgesamt 10 Runden auf dem großen Grand-Prix-Kurs mit ca. 6,8 km Streckenlänge. Das Rennen fand zusammen mit dem letzten Formel 750-WM-Lauf überhaupt statt. Damit waren die Zuschauerränge sehr gut gefüllt. Ein Riesenpublikum. Das Wetter war herrlich. Gute Voraussetzungen hier den letzten YAMAHA-Cup-Lauf meiner Karriere zu bestreiten. Und hier konnte ich auf Sieg fahren. und das tat ich auch. Aber wer dieStrecke in Hockenheim kennt, ich meine den großen Kurs, der weiß, dass dieser Kurs ein Windschattenkurs ist. Gemeint ist damit dies: Wer als erster eines Fahrepulks Richtung erster Schikane fährt, weiß nicht als Wievielter er dort ankommt, denn hier spielt der Windschatten ein ganz entscheidende Rolle und der kann und muß als wichtige Komponente in die taktischen Überlegungen mit einfließen. Sonst hat man verloren oder es ist ein Glücksspiel. Und wenn ich um den Sieg fahre, sind wir weit davon weg, etwas dem Glück zu überlassen. Sowohl als Zuschauer bei Motorradrennen, als auch als Teilnehmer an Motorradrennen bzw. als einer der Hauptakteure hat man ja vielfältigere Einblicke und Vergleiche als wenn man immer nur auf einer Seite steht. So ist mir oft aufgefallen, dass ich bei einem wichtigen Rennen, selbst wenn ich, wie fast immer, in der ersten Startreihe stand, selbst kurz vor dem Start, ich auf meinem Motorrad saß - und gegähnt habe. Später ist mir dann aufgefallen, wenn dies der Fall war, dann musste sich meine Konkurrenz ganz warm anziehen. Also war dies ein Zeichen dafür, dass man für eine Aufgabe ganz offen ist und an diese ganz entspannt angeht. Wäre man verkrampft, würde man nicht gähnen. Was würden Sie davon halten, wenn Sie wüssten, noch 1 Minute bis zum Start - und ein Fahrer gähnt da vor sich hin? Würden Sie auf den setzen? Sollten Sie aber. Auch bei diesem Rennen in Hockenheim war das so. Den Start haben wir damals noch als Schiebestart mit stehenden Motoren gemacht. Also gespenstische Ruhe vor dem Start und jetzt, neben dem Motorrad in Position stehend, auch volle Konzentration bei mir. Und da spürt man auch keinen Schmerz mehr. Denn gleich tut's kurz ganz arg weh. Aber man spürt es ob der Anspannung nicht. Aber vom Training her weiß ich es. Und wenn die Startflagge fällt, dann hieß es mit aller Kraft schieben, Kupplung gezogen, Gang eingelegt. Zündung eingeschaltet. Und schieben was die Kraft hergibt. Und wenn andere 4 Schritte zum Anschieben brauchten, dann mussten bei mir eben 3 Schritte reichen. Und dafür dann das ganze Gewicht des Oberkörpers mit der Brust, den Rippen auf den Tank gedrückt, damit das Hinterrad nun nicht blockiert. Das war es was so weh tat. Noch Tage später. Aber das war es, was es ausmachte, dass ich von fast allen Rundstreckenrennen, mit Ausnahme von dreien, ich als erster in die erste Kurve ging. Einmal hatte die Zündung keinen Kontakt gegeben. Warum weiß ich bis heute nicht. Kontrollleuchte hierfür hatten wir nicht. So hatte ich, auch in Hockenheitm, 30 Sekunden am Start verloren. 15 davon konnte ich im Laufe des Rennens auf die Spitze wieder gut machen. Das einzige Rennen, in dem ich wirklich an die Grenze ging. Und ein andermal hat man mich in der Qualifikation falsch ausgeworfen und mitten ins Feld gesteckt. Als 17. Beim Start musste ich gleich das Motorrad wieder zurückziehen, sonst hätte ich die Jungs vor mir noch während des Schiebevorgangs über den Haufen gerannt. Ich bin dann trotzdem auch da noch 2. geworden. Es geht also. Und als nun der Start war, war ich es abermals, der als erster wegkam und als erster in die erste Kurve einbog. Aber in Hockenheim auf dem großen Kurs heißt das nichts. Erinnern wir uns an den Windschatten. Man fährt an erster Stelle liegend voraus und dann kommt so ganz langsam ein Motorrad links an dir vorbei. Uund wenn Du Pech hast rechts auch gleich noch eins. Angesogen durch den Windschatten und mit diesem Sog und Schwung geht es an dir vorbei ohne dass du dich da erwehren kannst. Denn bis du dich da nun wieder hinten einreihen kannst umd deinerseits den Windschatten auszunutzen kannst, kommt aber schon die Schikane zum Anbremsen. Und hier muss sich nun nacheinander eingereiht werden. Und so kamen wir aus der ersten Runde als 10-er Fahrerpulk heraus. Neue Runde, neues Glück. Mein Plan stand fest. Dranbleiben. Egal wo. Aber aus der letzen Schickane in der allerletzen Runde solltest Du möglichst als Letzter rausfahren. Das ist die einzige Möglichkeit um gezielt, wenn auch mit hohem Risiko als erster mit Hilfe des Windschattenfahrens als erster ins Motodrom einbiegen zu können. Und im Motodrom wird es dann schwierig zu überholen, mindestens riskant. Auch das ist wieder interessant. Da sitzt man auf dem Rennmotorrad, bewegt sich in der Spitzengruppe im Grenzbereich - und taktiert eiskalt wie ein Schachspieler. In aller Ruhe. Für den Zuschauer mag dies unbegreiflich klingen. Aber es ist so. Die Gruppe wurde innerhalb der 10 Runden Renndauer immer kleiner. Als wir in die letze Runde gingen waren wir noch ein Fünferpulk. Fünf gleichschnelle Fahrer mit fünf gleichschnellen Motorrädern. Und so ging es in die letze Runde. Ich weiß heute nicht mehr an welcher Stelle ich da lag - denn es war ja ganz unwichtig. Unwichtige Dinge vergisst man im Leben leichter als die wichtigen Dinge. Und das ist gut so. Sie schmeißen ja auch nicht die wirklch wertvollen Dinge im Leben weg. Das Unwichtige schon. Das Wertvolle behalten Sie. Für mich war nur klar, ich wollte als letzter aus der letzten Schikane vor dem Einlauf ins Motodrom rauskommen. Warum als letzter? Wäre ich erster, müsste ich mit Sicherheit damit rechnen, dass jemand kurz vor dem Einlauf ins Motodrom den Windschatten ausnutzt, sich ansaugt und kurz vor dem Bremspunkt rausgeht und mich ausbremst. Und der kann nur nach rechts ausscheren und rechts überholen. Links ist kein Platz. Die Motodromeinlaufkurve war eine Rechtskurve. Wäre ich jedoch Zweiter oder Dritter oder Vierter könnte gerade in dem Moment, in dem ich mich entschließe aus dem Windschatten des vor mir Fahrenden auszuscheren, dies kurz vorher der hinter mir Fahrende getan haben und jetzt wäre ich eingezwängt und müßte tatenlos zuschauen. Also, um nicht in diese prekäre Lage zu kommen, gibt es nur diese Wahl. Also fuhr ich wirklich als 5. Fahrer des Pulks, und hinter mir war keiner mehr in Schlagdistanz, durch die letzte Schikane - mit leicht angezogener Handbremse. Diese Feinheiten kann man nicht mit dem Gasgriff steuern. Einmal Gas weg und der Windschatten ist abgerissen. So schnell geht das. Und mein Plan war eiskalt und riskant. Im mir als richtig erscheinenden Moment fuhr ich aus dem Windschatten raus, habe den Kurvenausgang der Motodromeinlaufkurve in spitzem Winkel angepeilt und habe alle vier Fahrer vor mir in einer Harakirimanier ausgebremst. Zwar musste ich auch noch weiter runterbremsen als die,da ich jetzt ein Eck reinfahren mussten, wie wenn sich jemand verbremst hätte - aber ich habe dies so getan, daß sich alle hinter mir einordnen mussten. Nach dem Beschleunigen zur anschließenden Sachskurve kam der bis dahin Führende wieder neben mich, da er noch etwas mehr Schwung mitnehmen konnte, als ich ihn noch hatte. Also sind wir nebeneinander durch die Sachskurve. Und jetzt wurde ich Opfer meiner Fairness. Denn ich war in der Kurve in der günstigen Innenposition, mein direkter Konkurrent neben mir - außen. Wenn ich mich jetzt zum Kurvenausgang raustreiben lasse, muss er Gas wegnehmen oder die Strecke verlassen. Ich alleine habe es in der Hand. Und ein knallharter Fahrer fackelt da nicht lange. Dazu muss man aber geboren sein. Ich kann das nicht. Konnte das nie. So bin ich halt. Und dies, obwohl genau dieser Fahrer dies an genau dieser Stelle mit mir so gemacht hatte. Ich musste die Strecke verlassen, weil er mich an genau dieser Stelle rausgedängt hatte. Wäre das nicht die beste Gelegenheit gewesen auszugleichen, heimzuzahlen. Rache zu nehmen. Aber interessant: ich glaube, selbst wenn ich es gewollt hätte, ich hätte es nicht gekonnt. In solchen Momenten übernimmt die Persönlichkeit das Ruder. Denn hier wird nicht überlegt sondern gehandelt. Somit kam ich leicht ins Hintertreffen und verlor Führungsposition wieder, da der Konkurrent jetzt für die nächste Links-Rechts-Kombination die bessere Position hatte. Aber sofort hatte ich einen neuen Angriffsplan. Ich veränderte die Linie von der Opel zur Elf-Kurve, und zwar so daß ich mit einem größeren Schwung auf die Start- und Zielgerade einbiegen kann. Schon beim Einlauf in das Motodrom habe ich gesehen wie die Zuschauer auf den Tribünen stehen und das tun sie nur, wenn sie etwas ganz gespannt mitverfolgen wollen. Und der Finallauf im YAMAHA-Cup war um ein Vielfaches spannender als der letzte Formel-750-Lauf. Und so ließ ich mich also etwas zurückfallen um dann richtig Schwung holen zu können. Und die Rechnung ging auf. Fast. Denn der Schwung war so gewaltig, daß ich mit guter Schrittgeschwindigkeit aufholte und genau in dem Moment auf den Führenden auflief, als dieser im Kurvenausgang der letzen Kurve war. Aber ich war so schnell und genau hinter ihm daß ich entweder außen an ihm vorbeifahren hätte müssen. Außen ist hier aber neben der Strecke. Oder ich wäre, wenn ich nichts mache, ihm hinten reingeknallt, oder ich hätte Gas wegnehmen müssen. Und so habe ich einfach nur etwas nach innen gezogen. Fahren Sie aber mal haarscharf am Grenzbereich und ziehen Sie dann noch weiter, wenigsten etwas nach innen. Ich habe es getan. Und mir war klar, daß das Motorrad jetzt rutscht. Aber dazu ist man ja Rennfahrer, um auch mit rutschenden Motorrädern umgehen zu können. um aber nicht abzusteigen, musste ich nun ganz kurz vom Gas um das rutschende Motorrad, welches über beide Räder wegrutschte, abfangen zu können. Dadurch verlor ich nun die Chance auf den Sieg. Aber nicht nur das, und das habe ich am YAMAHA-Cup-Fahren geliebt - ein kleinerFehler und zwei-drei Plätze sind verloren. Der Fahrer hinter mir konnte die Gelegenheit nutzen aufzuschließen und er fuhr 30cm vor mir noch durchs Ziel. Aber egal. Ich war deswegen nicht traurig. Hatte ich doch nach 10 Rennen im YAMAHA-Cup mit 91 Punkten mit 20 Punkten Vorsprung vor dem Vizemeister den Gesamtsieg nach Hause gefahren. Damit auch bei nun allen 18 Cup-Laufen in allen Rennen in zwei Jahren das Ziel gesehen, keinen Sturz gehabt, und alle Rennen, sogar das, bei welchem mein Motorrad nicht ansprang, in den Punkterängen beendet. Wenn das kein Grund zur Freude ist. Und auf dem Treppchen stand ich auch als Dritter allemal wieder. Und was noch viel schöner war, egal wie der Ausgang auch immer war, es war ein Kampf von der ersten bis zur letzen Sekunde - und wie sich wieder gezeigt hat - ein faires Rennen wie alle vorher auch. Wenigstens von meiner Seite aus. Und darauf bin ich mehr stolz, als auf die Erfolge. Was zählt Erfolg, egal auf welcher Ebene, wenn er nicht redlich verdient und fair zustandegekommen ist. Ich habe mir da bis heute nichts vorzuwerfen. Niedergeschrieben, Ansbach, den 16. Jan. 2009.
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